Kapitel 21 - Auf der Flucht

Freddy

Die Beine dicht an den Oberkörper gezogen und die Arme um die Knie geschlungen kauere ich auf der schmalen Bank, deren Polster schon so durchgesessen ist, dass ich das harte Holz unter meinem Hintern fühle. Immerhin ist in dem gedämpften Licht der Taschenlampe das furchtbare Muster nicht zu erkennen. Es sind die kleinen Dinge. Ich lache spöttisch über meinen eigenen Gedanken. Die Wolke, die mein Atem dabei in der Luft vor mir hinterlässt, spüre ich mehr, als dass ich sie sehe. Nichts an meiner Situation ist schön, nicht das kleinste Detail. Mein Magen gleicht einem großen Loch. Seit dem kalten Auflauf, den ich gestern Abend aus der Lunchbox gelöffelt habe, habe ich nichts mehr gegessen, und mein Körper ist vor Kälte und nach der Nacht auf der schmalen Bank ganz steif.

Ich klettere aus der Sitzecke und gehe in der alten Laube auf und ab, die Hände tief in die Jackentaschen gesteckt. Warm wird mir trotzdem nicht. Dafür ertaste ich mit meinen Fingerspitzen einen harten Gegenstand mit welliger Oberfläche. Ich ziehe ihn hervor und halte ihn ins Licht der Taschenlampe.

 

Eine verschrumpelte Kastanie.

 

Jene Kastanie, die ich auf dem gemeinsamen Spaziergang mit Judith aufgesammelt habe. Dass ich sie ausgerechnet jetzt wiederfinden muss! Damals hatte ich die leise Hoffnung gehabt, aus Judith und mir könnte mehr werden, aber das war, bevor sie mich so eiskalt belogen hat. Genauso wie Mama. Ich schleudere die Kastanie in eine Ecke, wo sie mit leisem Poltern zwischen alten Kanistern verschwindet. Die können mich alle mal.

Ich setze mich zurück auf die Bank, greife nach dem Gitarrencase und ziehe erschrocken meine Hand zurück, als ich über den feucht beschlagenen Korpus streiche. Mist. Kälte ist für Instrumente noch weniger gut als für Menschen Ich muss uns wohl beide warm spielen. Aber meine Fingerspitzen sind so steif, dass ich die Saiten nicht richtig gegriffen bekomme. Der a-Moll-Akkord scheppert verstimmt durch die Laube, das Plek rutscht mir aus den Fingern und landet im Innern der Gitarre.

„Fuck!“, rufe ich. Genervt drehe ich die Gitarre auf den Kopf und schüttle sie. Das Plek rutscht klappernd im Korpus hin und her, will aber ums Verrecken nicht aus dem Loch hinausfallen, durch das es hineingekommen ist. Mistding. Muss es halt drin liegen bleiben. Ich setze die Gitarre wieder auf mein angewinkeltes Knie und lege die Finger erneut auf die Saiten. Das, was herauskommt, ist nicht das, was ich ernsthaft als Musik bezeichnen würde, und trotzdem lässt mich jeder Ton ein bisschen ruhiger werden.

 

Bis plötzlich ein Geräusch in die Stille zwischen mir und den Akkorden dringt.

 

Schritte draußen auf dem Kiesweg. Ich höre auf zu spielen und wage kaum zu atmen. Auch wenn die Tür zur Laube nicht abgeschlossen war und es hier aussieht, als hätte sich seit einem Jahr niemand mehr um den Garten gekümmert, ist mein Eindringen hier vermutlich nicht ganz legal. Die Schritte kommen näher, bewegen sich eindeutig auf die Hütte zu. Mein Herz rast. Muss denn ausgerechnet heute der Besitzer kommen? Wie viel Pech kann ich eigentlich haben?

Langsam wird die Tür geöffnet und Erleichterung durchströmt mich. Es ist nicht der Besitzer der Laube.

 

„Freddy, ein Glück!“

 

„Judith.“ Ich sehe die Erleichterung in ihrem Gesicht, ihr Lächeln, und kurz wird mir warm – bis ich ihre Augen im Dämmerlicht anschaue. So wie Sonntag nach dem Stream. Als sie mir ins Gesicht gelogen hat.

 

„Welchen Teil von Lass mich in Ruhe hast du nicht verstanden?“

 

Anstatt sich umzudrehen und zu gehen, wie gehofft, seufzt Judith nur leise, schließt die Tür hinter sich und macht einen Schritt auf mich zu.

 

„So ungefähr alles.“

 

„Dann denk mal scharf nach“, erwidere ich gepresst, warte aber nicht ab, ob Judith eine Antwort geben will. „Du hättest mir zum Beispiel einfach die Wahrheit sagen können.“

 

Judith seufzt ein weiteres Mal und lehnt sich an die Tür. „Ich weiß, es tut mir leid“, sagt sie schließlich. Ihre Stimme zittert. Soll mich das beeindrucken? Das ändert nichts an dem, was passiert ist.

„Schön für dich.“

 

„Freddy, bitte.“

 

„Wie lang hast du es schon gewusst?“

 

Judith senkt den Kopf. „Ich habe deine Mutter vor zwei Wochen zum ersten Mal in der Klinik getroffen.“

 

Mir entfährt ein bitteres Lachen. So lang haben Mama und Judith mich schon hintergangen. Was kommt noch? „Und die ganze Zeit habt ihr nichts gesagt!“

 

„Ich fand es auch nicht gut, dass sie es vor euch geheim halten wollte, aber ich schwöre, mir ist erst Sonntagabend klar geworden, dass sie deine Mutter ist.“

 

„Trotzdem hast du nichts gesagt!“, wiederhole ich.

 

„Ich habe auch Schweigepflicht“, verteidigt Judith sich. „Und was hätte ich sagen sollen? Hey, toller Song, und übrigens, deine Mutter hat Krebs?“

 

Obwohl Judith ihrer Stimme nach zu urteilen nun weint, schneiden ihre Worte durch die Luft und mitten in mein Herz.

 

Da ist es wieder.

 

Dieses Wort, das ich in der Kälte dieser Laube in den letzten zwei Tagen zu verdrängen versucht habe. Mama hat Krebs. Scheiße. Die Panik schießt wie ein eisiger Wasserstrahl durch meinen Körper, verbindet sich mit der kalten Luft, und ich beginne unkontrolliert zu zittern. Mama hat Krebs – und es gibt nichts, was ich dagegen tun kann. Es reicht nicht, die Wäsche zu waschen, zu putzen und nachts aufzustehen und Schmerzmittel zu geben. Gegen diese Krankheit bin ich machtlos. Und wenn sie gewinnt … Nein, so weit darf es nicht kommen. Ich kann nicht zulassen, dass unsere Familie wieder auseinandergerissen wird.

 

Judith setzt sich zu mir auf die Bank, nimmt mir sanft die Gitarre aus der Hand und nimmt meine Hände in ihre. Die Wärme, die von ihr ausgeht, brennt auf meiner kalten Haut, doch ich nehme diesen Schmerz nur am Rande wahr. Er wird überlagert von der Angst, die in jede Faser meines Körpers sticht. Sie dürfen ihn mir nicht wegnehmen. Nicht noch einmal. Meine Kehle ist plötzlich furchtbar eng und obwohl ich hektisch nach Luft ringe, kommt nicht genug Sauerstoff in meine Lungen. Die Dunkelheit um mich herum wird dichter, das Licht der Taschenlampe schwächer.

 

„Freddy, schau mich an.“ Judiths Stimme hallt wie ein Paukenschlag durch die Laube, in der es auf einmal heller ist als zuvor. Ich blinzle und kann Judiths Gesicht dicht neben mir ausmachen. „Tief ein- und ausatmen.“

 

Das sagt sich so leicht, ich kann nur nach Luft schnappen. Judith umfasst meine Hände fester, massiert mit den Daumen meine Handrücken und gibt leise Kommandos, während sie atmet. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen.

Ich versuche, es ihr nachzutun, habe allerdings nicht das Gefühl, als würde es klappen.

 

Trotzdem lobt Judith mich lächelnd. „Ja, gut so. Noch einmal. Du schaffst das. Einatmen. Ausatmen.“

 

Endlich nimmt die Enge in meiner Kehle und Brust ab, macht Platz für Luft, und ich erkenne, dass das Licht von Judiths Handytaschenlampe herrührt. Erschöpft sinke ich auf der Bank in mich zusammen und versuche zu begreifen, was gerade passiert ist. Aber alles verschwimmt im Nebel. Nur, dass Judith noch immer meine Hände hält, verstehe ich.

 

„Geht’s wieder?“

 

Wenn sie meint, dass ich wieder Luft bekomme, dann ja. Ich nicke.

 

„Was meintest du eben?“, fragt Judith leise. „Wen dürfen sie dir nicht wegnehmen?“

 

Ein eiskalter Schauer jagt mir über die Haut. Was habe ich gesagt? Ich kann mich nicht mehr erinnern. Erneut kriecht Panik in mir hoch, aber diesmal gelingt es mir, sie zurückzudrängen.

 

Ich muss mich konzentrieren, darf nichts verraten, kein Risiko eingehen.

 

„Freddy, du darfst mir vertrauen.“ Ihre Stimme klingt genauso sanft und freundlich wie die Stimmen damals. Die, die versprochen haben, dass alles gut wird. Dass sie alles für uns tun würden. Dass wir ihnen vertrauen könnten. Mir entfährt ein bitteres Lachen.

 

„Das behaupten sie alle“, sage ich und ziehe meine Hände aus Judiths Fingern. Sofort vermisse ich die Wärme. Aber ich könnte sie keine Sekunde länger ertragen. Nicht von ihr. Sie hat mich schließlich genauso belogen. „Ihr habt keine Ahnung“, murmle ich.

 

„Dann erklär es mir.“

 

Wie kann sie nur so unerbittlich und gleichzeitig sanft klingen? Und woher kommt die verdammte Güte in ihrem Blick. Ich schaue weg, weil ich diesem Blick nicht standhalten kann.

 

„Hast du Angst um Finn?“

 

Eine einfache, nüchterne Frage, und meine Fassade fällt endgültig in sich zusammen. Es hat keinen Zweck mehr, es zu leugnen, aber es auszusprechen, fällt mir schwer, deshalb nicke ich nur. Judith fragt nichts, sondern sieht mich geduldig an, während die Erinnerungen durch meinen Kopf jagen.

 

„Ich will nicht, dass sie uns wieder trennen“, sage ich, sobald die Bilder etwas zur Ruhe kommen. „Ich muss das schaffen.“

 

„Was?“

 

„Alles.“

 

Judith schüttelt den Kopf. „Niemand kann alles schaffen, Freddy.“

 

„Ich muss. Ich habe keine Wahl.“

 

„Glaubst du nicht, dass es Menschen gibt, die euch helfen können?“

 

Ich balle die Hände zwischen meinen Knien zu Fäusten. „Das haben sie damals auch immer versprochen …“

 

Langsam streckt Judith ihre Hand aus und verharrt einen Moment über meinem Knie, ehe sie die Hand dort ablegt. Ich ziehe das Knie nicht zurück, lasse die Berührung zu. Und so vorsichtig, wie sie mich berührt, kleide ich meine Erinnerungen in Worte.

 

„Es war kurz nachdem Lennart Mama verlassen hat, dass sie krank wurde. Sie hatte vorher schon Symptome gehabt, aber es war nie so schlimm.“

 

Acht lange Jahre, und doch sehe ich die Bilder vor Augen, als wäre es gestern gewesen.

 

Mama, die immer häufiger vor Schmerzen das Gesicht verzog, morgens müder war als Finn und ich, und sich nach der Arbeit erst einmal hinlegen musste. Damals sah ich zum ersten Mal jenes halbe Lächeln, das mir in den letzten Jahren so vertraut geworden ist.

 

„Sie hat es mit Massagen, Sport und allem möglichen versucht, aber es wurde nicht besser. Irgendwann ist sie auf der Arbeit zusammengebrochen …“

 

Noch während ich die Treppenstufe auf den Schulhof hinabgehe, steigt dieses ungute Gefühl in mir auf, dass irgendetwas anders ist. Am Tor entdecke ich Finn, der auf mich zuläuft, gefolgt von einer Frau. Flora, Mamas Kollegin und gute Freundin. Sie lächelt, aber noch nicht einmal halb, und sämtliche Alarmglocken in meinem Kopf schrillen los.

 

Hallo Freddy, wir mussten eure Mama heute ins Krankenhaus bringen …

 

Etwas Warmes legt sich über meine Hand. Judith drückt sanft meine Finger. Langsam finde ich ins Hier und Jetzt zurück und erzähle weiter.

 

„Flora hat meiner Mutter versprochen, dass sie sich um uns kümmert. Sie ist zu uns gezogen, während Mama im Krankenhaus war. Aber es ging nicht lang gut.“

 

Weil Mama länger im Krankenhaus blieb als gedacht und niemand eine Ursache für ihre Schmerzen fand. Lange habe ich das Bild meiner Mutter verdrängen können, wie sie so verloren aussah, wie sie müde in dem großen Bett in dem sterilen Zimmer lag. Jetzt ist es wieder da und mir ist, als könnte ich die drückende Wärme und den scharfen Geruch von Desinfektionsmittel wieder spüren. Damals hat mich dieses Bild Tag und Nacht verfolgt, genauso wie Finn.

 

„Flora hat sich wirklich Mühe gegeben, aber sie hatte keine Erfahrung mit Kindern. Schon gar nicht mit solchen, die plötzlich wieder nachts ins Bett machen oder nicht im Kindergarten bleiben wollen.“

 

Ich schlucke, weil ich Finns Weinen immer noch so deutlich höre. Tagsüber heulte er, wenn Flora ihn am Kindergarten absetzte oder wenn wir nach einem Besuch im Krankenhaus wieder nach Hause gingen, abends wimmerte er leise in meinen Schlafanzug. Immer wieder versicherte Flora uns, dass unsere Mutter bald wieder nach Hause kommen würde. Aber sie kam nicht.

 

„Die Ärzte haben Mama nach dem Krankenhausaufenthalt zur Kur geschickt. Eine Mutter-Kind-Kur wurde nicht bewilligt, aber Flora konnte sich nicht länger um uns kümmern.“

 

Tut mir leid Sandra, ich pack das nicht. Sie gestehen mir keine Schichtanpassung zu. Und deine Jungs brauchen jemanden, der richtig für sie da ist.

 

Mamas geflüsterte Antwort, die kaum zu hören war, aus der ich trotzdem mehr raushörte als ich vermutlich sollte, und die mir mit einem Schlag klarmachte, was Hoffnungslosigkeit bedeutet.

 

Es ist längst viel zu dunkel, um im Licht von Judiths Handy ihre Mimik zu erkennen, aber in dem Druck ihrer Hand auf meiner und der halben Umarmung, in die sie mich zieht, liegt so viel Zuwendung, dass mir der Schmerz, den ich all die Jahre unterdrückt habe, scharf in die Brust sticht. Ob Judith den Rest der Geschichte ahnt?

 

Noch nie habe ich mit irgendwem darüber gesprochen.

 

Niemand außer Mama, Finn, ich und den Beteiligten weiß davon. Aber ich muss es endlich aussprechen, wenn der Schmerz mich nicht auffressen soll. Ich erwidere Judiths Händedruck, schließe die Augen und lasse die Dunkelheit und die Erinnerungen auf mich einstürzen.

 

„Sie haben uns in Pflegefamilien untergebracht. Natürlich wollten wir zusammenbleiben und die Frau vom Jugendamt hat gesagt, dass sie alles versuchen, aber die verfügbaren Familien waren alle ausgelastet und konnten nur noch jeweils einen von uns aufnehmen.“

 

Ich habe gebrüllt und um mich geschlagen, die Sozialarbeiterin nahm es hin. Vermutlich war ich nicht das erste Kind, das sie vom Rest der Familie trennen musste. Erst nach einer halben Stunde Fahrt beruhigte ich mich halbwegs. Mit der Pflegefamilie sprach ich in den ersten zwei Tagen trotzdem kein Wort.

 

„Die waren total lieb und haben alles getan, dass Finn und ich uns oft sehen konnten. Trotzdem waren es die längsten vier Wochen meines Lebens. Als Mama endlich wiederkam und Finn und ich zu ihr zurückkonnten, habe ich mir geschworen, dass sie uns nie wieder trennen werden.“

 

Judith zieht mich in eine feste Umarmung und ich halte mich an ihr fest, bis der Schmerz nachlässt und die Bilder von früher nicht mehr sind als vage Schatten.

 

„Freddy, das tut mir so leid.“

 

Ich erwidere nichts. Was sollte ich auch sagen? Meine Vergangenheit, meine Ängste, alles habe ich vor ihr ausgebreitet. Es sollte mir Angst machen, doch in diesem Moment fehlt mir die Kraft dazu.

 

„Darf ich dich etwas fragen?“

 

Ich nicke.

 

„Wer kümmert sich um dich?“

 

Ihre Frage erwischt mich eiskalt und obwohl Judith in der Dunkelheit mein Gesicht sowieso nicht erkennen kann, drehe ich mich ein Stück weg.

 

„Passt schon.“

 

Sanft, aber entschieden, zieht Judith mich zu sich zurück. „Das glaube ich dir nicht. Du kannst das doch nicht alles mit dir allein ausmachen.“

 

Ich klopfe auf die Saiten der Gitarre.

 

„Das ist vielleicht eine Form der Therapie“, erwidert Judith seufzend. „Aber die Musik nimmt dir keine Arbeit ab.“

 

„Das passt schon“, wiederhole ich. „Ich schaff das.“

 

„Bist du deshalb abgehauen? Weil du alles schaffst?“

 

Scheiße, was soll diese Fragerei? Judith scheint sich das alles so leicht vorzustellen, als ob reden irgendetwas helfen würde. Reden hat Mama damals nicht nach Hause gebracht oder eine gemeinsame Pflegefamilie für Finn und mich gefunden, reden hat Mama nicht vor dem Jobverlust bewahrt. Und dieser verdammte Krebs lässt sich auch nicht wegdiskutieren.

 

„Du musst nicht allein dadurch“, sagt Judith leise. „Wir sind für dich da.“

 

Wir? „Wem hast du was erzählt?“

 

„Johnny, Kristina, Joshie und Ben. Verdammt Freddy, ich habe mir Sorgen gemacht. Und die anderen auch.“

 

„Scheiße. Und wenn die zur Polizei gehen?“

 

„Tun sie nicht. Wir haben dich gesucht“, erwidert Judith, das wir besonders betonend, was mich allerdings kaum beruhigt. Es sind trotzdem vier Mitwisser mehr.

 

„Dann kannst du ja jetzt Entwarnung geben.“

 

Judith hält mir ihr Smartphone vor die Nase. „Längst passiert.“

 

Das Licht der noch immer eingeschalteten Handytaschenlampe leuchtet auf das braungrüne Polster der Bank, während ich Johnnys Antwort auf Judiths Nachricht lese.

 

Ein Glück. Seine Mutter ist fix und fertig.

 

Mein Herz sinkt mir in die Hose. Mama geht es schlecht, meinetwegen. Statt ihr zu helfen, habe ich es noch schlimmer gemacht. Kurz lodern der Trotz und die Wut von gestern in mir auf und flüstern mir zu, dass sie es nicht besser verdient hat. Aber als Judith mir über die Arme streicht, siegt die Scham über meine Flucht.

 

„Du musst dringend ins Warme,“ sagt sie nüchtern.

 

Von der langen angespannten Haltung sind meine Arme und Beine ganz steif und es zieht unangenehm in den Gelenken, als ich aufstehe, die Gitarre verpacke und nach meinem Rucksack greife. Wenig später drücke ich die Tür der Laube hinter mir ins Schloss, und während ich neben Judith den Kiesweg der Kleingartenanlage hinuntergehe, wappne ich mich für die Begegnung mit Mama – und Finn. 

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