Kapitel 49 - Ich wollte, dass ihr das wisst

Freddy

Nur mit Mühe kann ich mir ein Stöhnen verkneifen, als ich an diesem Montag das Fleet21 betrete. Ich habe Johnny versprochen, ihm beim Streichen des Saals zu helfen. Was ich vor meiner Zusage nicht bedacht habe, ist, dass Samuel immer noch seinen Freiwilligendienst im Jugendzentrum absolviert und ebenfalls mit von der Partie ist. Auch wenn es für uns beide mehr Arbeit bedeuten würde, hatte ich gehofft, mit Johnny allein zu sein, vielleicht noch einmal reden zu können. Mi Judiths älterem Bruder im gleichen Raum erscheint es mir unmöglich. 

Skeptisch sehe ich ihn an. Weiß er etwas von meinem neuen Song? Hat Judith ihm etwas erzählt? Mir hat sie am Freitag nach einer halben Ewigkeit, in der ich tausend Tode gestorben bin, lediglich ein gerührt weinendes Emoji geschickt. Ich habe mich nicht getraut, weiter nachzufragen, als ob ich mit dem Verschicken des Songs meine Mut-Reserven erschöpft hätte. Jetzt wünschte ich, ich hätte gefragt.

 

„Hi, cool, dass du uns hilfst“, sagt Samuel.

 

Okay, das klingt nicht so als wüsste er irgendetwas. Oder er kann seine Gefühle besser verbergen als ich heute. Johnny jedenfalls scheint etwas zu bemerken, zieht fragend eine Augenbraue in die Höhe.

 

„Später“, murmle ich kopfschüttelnd.

 

Mit Klebeband und Malerfolie bewaffnet laufen wir an den Wänden entlang, befestigen die Folie sorgfältig an den Fußleisten und kleben die Steckdosen ab. Dann schnappen wir uns Farbeimer und Rollen, Samuel stellt die Musikanlage an, und wir machen uns an die Arbeit. Im Rhythmus der Rockmusik, die aus den Lautsprechern dringt, bewege ich die Farbrolle an der Wand auf und ab. Es schmatzt ein wenig, wenn der feuchte Filz über den Putz gleitet, und der penetrante Geruch der Farbe macht mich fast ein bisschen schwindelig. Die ursprünglich weiße Wand, die schon ziemlich abgestoßen und fleckig war, erstrahlt Stück für Stück wieder in neuem Glanz, während wir die Rollen in die Farbeimer tauchen und die Leitern hoch und runter steigen.

 

„Oh Mann, irgendwie hatte ich mir meinen freien Tag anders vorgestellt“, sagt Johnny und streckt stöhnend die Schultern, als die erste Wand einmal komplett gestrichen und die zweite zur Hälfte fertig ist.

 

„Schön, dass du entgegen deinen Vorstellungen arbeitest“, erwidert Alex, der plötzlich hinter uns steht und seinen Blick anerkennend an der Wand entlang schweifen lässt. „Sieht schon super aus.“ Er hält einen Flyer vom Pizzaservice in die Höhe. „Was wollt ihr gleich essen? Sucht euch was aus und ich ruf beim Lieferdienst an.“

 

„Hawaii, groß“, sagt Johnny, ohne einen Blick auf den Flyer geworfen zu haben.

 

Samuel verzieht angewidert das Gesicht. „Ananas hat nichts auf einer Pizza verloren.“

 

„Versuch es gar nicht erst, diese Diskussion zu führen“, sagt Alex mit entschuldigendem Grinsen zu Samuel. Judiths Bruder wählt Lasagne statt Pizza, ich entscheide mich für Pizza mit Spinat und Feta. Alex nickt, zückt sein Smartphone und verlässt winkend den Saal.

 

Eine halbe Stunde später ist auch die zweite Wand fertig gestrichen und wir sitzen mit Pappkartons auf den Knien in der Mitte des Saals und genießen unser Mittagessen. Das heißt, Samuel und Johnny lassen es sich schmecken, mir rutscht die Pizza nur schwer durch meine enge Kehle. Beim Streichen hatte ich genug Ablenkung, das Auf und Ab der Farbrolle hatte etwas Beruhigendes und forderte genug Konzentration.

 

Jetzt schwirren mir die Gedanken wieder durch den Kopf und setzen sich auf dem glänzenden Käse fest. Seit ich nach dem Gespräch mit Robin in der Selbsthilfegruppe zögerlich wieder meine Gitarre zur Hand genommen habe, lassen sie mich nicht mehr los, erst recht nicht mehr, seit auf einmal dieser Song da war. Sie hängen an dem vielleicht, das Robin mir mitgegeben hat. Vielleicht hat die Musik mich doch noch nicht ganz verlassen. Vielleicht kann ich sie wiederfinden. Und mich. Aber kann ich es allein? Habe ich bei den anderen überhaupt noch eine Chance? Ist es für eine Entschuldigung nicht längst zu spät?

 

Johnny klappt geräuschvoll seinen Pizzakarton zusammen und steht auf. „Ich bin mal kurz vor der Tür“, sagt er und zieht im gleichen Atemzug eine Packung Zigaretten aus der Hosentasche.

 

Das ist meine Chance.

 

Nicht, dass ich auch plötzlich Lust hätte zu rauchen, im Leben nicht. Aber Samuel ist noch mit seinen Nudeln beschäftigt und wird uns erstmal nicht folgen. Ich kann also endlich in Ruhe mit Johnny reden.

 

„Ich komme mit“, sage ich, schnappe mir meinen ebenfalls leeren Karton und folge Johnny auf den Hof des Jugendzentrums.

 

Noch während er sein Feuerzeug zückt, fällt er mit der Tür ins Haus. „Was ist los? Ist irgendwas mit Judith?“

 

„Ja … Nein, doch. Ach, keine Ahnung.“

 

Johnny grinst und zieht die Augenbrauen in die Höhe. „Es ist kompliziert?“, fragt er und bläst Rauch in die Luft.

 

„Ja.“ Was hat es für einen Zweck, es zu leugnen? Allerdings ist Judith womöglich nur die kleinste Stellschraube in diesem ganzen Wust aus Unsicherheiten.

 

„Hat sie dir nicht verziehen?“

 

„Doch, schon. Aber sie braucht noch Zeit.“

 

Johnny schnippt ein paar Krümel Asche auf den Boden. „Fair enough, wenn man bedenkt, wie lang du dich nicht gemeldet hast.“

 

„Ja, hau ruhig noch mal drauf“, murmle ich und kicke ein Steinchen über den Hof. Johnny hat recht, trotzdem tut es weh, es noch einmal gesagt zu bekommen. Ich bohre die Hände in die Tiefen meiner Hosentaschen und atme tief durch, auch wenn das bedeutet, dass ich Zigarettenrauch einatme.

 

„Ich hab viel nachgedacht in den letzten Tagen und ich weiß, dass ich Mist gebaut habe“, sage ich und sehe Johnny dabei fest in die Augen. „Als es meiner Mutter so schlecht ging, habe ich beschlossen, dass ich aus der Band aussteige. Aber ich war zu feige, es euch zu sagen. Ich habe mir eingeredet, dass ich ohne die Musik leben kann, weil ich es muss. Eigentlich weiß ich immer noch nicht, wie ich mich um Mama kümmern und gleichzeitig Musik machen soll. Aber mir ist klar geworden, dass ich einen Weg finden muss. Weil ich ohne die Musik nichts bin.“

 

Ohne es zu merken, habe ich beim Reden immer mehr Luft eingesaugt, jetzt lasse ich sie entweichen und ich sinke einige Zentimeter in mich zusammen.

 

Johnny sieht mich ruhig an, hält die Zigarette zwischen den Fingern, die langsam vor sich hin glüht. Während ich geredet habe, hat er kein einziges Mal daran gezogen. Er nickt langsam und schiebt sein Käppi am Schirm von links nach rechts.

 

„Und jetzt?“

 

Ich zucke mit den Schultern. „Glaubst du, ich kann mich noch einmal neu entscheiden? Für die Musik? Für Escape?“

 

Johnny atmet tief ein. „Für die Musik auf jeden Fall. Aber für die Band? Das ist ja auch unsere Entscheidung.“

 

Ich werde noch ein Stück kleiner. Das klingt so, als hätten sich die anderen längst gegen mich entschieden. Es bringt nichts, zu wissen, dass sie recht haben, es schmerzt, als ob mir jemand ein Schwert in den Bauch gestochen hätte.

 

Johnny nimmt einen kurzen Zug von der Zigarette und drückt sie dann aus. „Wir sind heute Nachmittag im Proberaum verabredet und wollen überlegen, wie es weitergehen soll.“

 

Ein weiterer Schwertstoß. Die anderen treffen sich, ohne mich. Der Nachgeschmack der Pizza liegt bitter auf meiner Zunge, oder ist es die Enttäuschung? Aber was habe ich erwartet? Dass die Band auf mich wartet bis zum Sankt Nimmerleinstag?

 

„Nachdem du dich nicht mehr gemeldet hast, kam der Vorschlag, ob wir zu viert weitermachen“, erzählt Johnny und weicht meinem Blick aus.

 

„Fair enough“, wiederhole ich Johnnys Worte von vorhin, weil ich keine eigenen finde.

 

„Na ja. Ich bin nicht so überzeugt. Ben als Alphatier vorne auf der Bühne?“ Johnny verzieht das Gesicht zu einer leidenden Miene, was mir ein kurzes, unsicheres Lachen entlockt.

 

„Ist er doch schon.“

 

„Aber bislang warst du immer als Ausgleich da“, widerspricht Johnny. „Im Proberaum, und von mir aus auch im Studio, kann Ben gern den Häuptling geben. Er schreibt auch gute Songs. Aber für die Performance ist er einfach nicht so der Typ. Das machst du besser.“

 

„Meinst du?“

 

„Ja. Ben ist nicht schlecht, aber bei ihm spürt man immer den Ehrgeiz und weniger die Spielfreude. Bei dir ist es umgekehrt.“

 

In meiner Kehle wird es eng und ich blinzle heftig, während ich nach Worten suche. Doch noch ehe ich etwas sagen kann, kommt Samuel auf den Hof und schüttelt fassungslos den Kopf.

 

„Ist das eine Raucherpause oder ein Wochenendseminar?“

 

Johnny versenkt den Rest der Zigarette im Mülleimer. „Reg dich nicht auf, wir sind ja fertig.“

 

„Das hoffe ich. Ich habe keine Lust, den Saal allein zu streichen“, meckert Samuel und verschwindet wieder nach drinnen.

 

Als wir ihm folgen, dreht Johnny sich zu mir um. „Komm heute Abend dazu.“

 

Ich hätte keine Pizza essen sollen.

 

Und auch keine Mate trinken. Noch besser wäre es gewesen, ich wäre nach dem Streichen direkt wieder nach Hause gefahren und dort geblieben. Stattdessen stehe ich mit rumorendem Magen und einem trampolinspringenden Herzen im Keller vor der Tür des Proberaums und versuche mich dazu zu zwingen, die Hand nach der Türklinke auszustrecken und reinzugehen. Kann doch nicht so schwer sein. Habe ich schon tausend Mal gemacht. Ist es aber. Denn meine Hand ist schwer wie Blei und scheint obendrein mit den Nähten meiner Hosentasche verklebt zu sein. Nur dumpf dringen ein paar Geräusche nach draußen. Ein kurzes Wummern, vielleicht Joshie, die mit der Basedrum hantiert. Leise Stimmen. Zu leise, als dass ich irgendein Wort verstehen könnte.

 

Mein Handy vibriert in der Hosentasche. Im Gegensatz zur Türklinke erreiche ich das problemlos. Eine Nachricht von Johnny.

 

Wo bleibst du denn?!?

 

Das Smartphone zittert in meiner Hand und ich stecke es schnell wieder in die Tasche. Fuck, das hier wird nicht besser. Ich atme noch einmal tief durch und sammle alle Kraft, die ich aufbringen kann. Dann drücke ich endlich die Klinke und betrete den Proberaum.

 

Kristina, die im Schneidersitz auf dem Klavierhocker sitzt, strafft die Schultern, Joshie sieht mit großen Augen zwischen Crash- und Ridebecken hervor und Ben lehnt mit vor der Brust verschränkten Armen auf der Sofakante und durchbohrt mich mit seinen Blicken.

 

„Was willst du denn hier?“

 

Bens Worte vermischen sich mit dem Dröhnen meines Herzschlags. Ich hätte nicht kommen sollen, es war eine Scheißidee. Ben markiert bereits das Alphatier und ich bin ein Eindringling in dieser neuen Rudelstruktur. Instinktiv mache ich einen Schritt zurück und fange dabei Johnnys bekümmerten Blick. Was will er mir sagen? Dass es ihm leidtut, wie Ben reagiert oder dass ich bleiben soll? Wieso sagt er dann nichts?

 

„Ben, bitte.“ Kristina sieht unseren Bandältesten strafend an, aber als sie mich ansieht, ist ihre Miene nicht so entspannt wie ich es sonst von ihr kenne. Es liegt etwas Lauerndes in ihren Augen.

 

Meine Kehle ist rau und mein Mund trocken, als ich zu sprechen versuche. Ich räuspere mich.

„Ich will mich bei euch entschuldigen“, bringe ich schließlich hervor. Leise und längst nicht so selbstsicher wie ich es gern hätte.

 

„Auf einmal“, kommt es düster von Ben und er rollt mit den Augen.

 

Kurz will ich auf alles scheißen und wieder gehen, Escape endlich hinter mir lassen. Aber Johnny lächelt mir zu und nickt vorsichtig. Ich muss das jetzt durchziehen, egal wie es endet, aber wenigstens sollte ich rausbringen, was ich zu sagen habe.

 

Ich bohre die Fingernägel in die Innenflächen meiner Fäuste, schließe die Augen und atme tief durch, so gut wie es mit rasendem Herzen und enger Kehle eben geht. Und dann erzähle ich alles, was in den letzten Wochen passiert ist. Von dem Streit mit Finn, Mamas Nebenwirkungen, der Belastung, die ich so lang ignoriert habe, meinem Entschluss auszusteigen und meiner Feigheit, Finns Auszug, dem Death-Metal-Konzert und dem Wunsch, alles zu vergessen, und von Svens Kündigung.

„Ich habe mich wie ein Arsch verhalten und habe euch mit meinen Problemen reingeritten, anstatt ehrlich mit euch zu sein. Das tut mir leid.“

 

Stille.

 

Keiner der anderen sagt ein Wort und ich wage es nicht, sie anzusehen, nicht nach der Begrüßung heute. Ich sehe auf meine Schuhspitzen, die ich während meines Vortrags immer tiefer in den abgetretenen Boden gedrückt habe. Ein Wunder, dass ich kein Loch gebohrt habe.

 

„Ich wollte nur, dass ihr das wisst“, sage ich und sehe endlich auf.

 

Johnny lächelt schief, Kristinas Gesichtszüge sind entspannter als vorhin und Joshies dunkle Augen sehen beinahe verständnisvoll aus. Nur Ben sitzt noch immer mit verkniffener Miene und verschränkten Armen da.

 

Vielleicht sollte ich jetzt wirklich gehen. Ich habe gesagt, was ich sagen wollte, mehr kann ich nicht tun. Ich wende mich um und strecke die Hand nach der Türklinke aus. Mein Herz schlägt nicht mehr so heftig, es blutet. Es ist vorbei und ich werde darüber hinwegkommen, irgendwie.

 

„Wie, und jetzt willst du schon wieder einfach gehen?“

 

Joshies Stimme durchschneidet die Luft schärfer als ein Messer. Ich wende mich um, ihre Augen blitzen mich an.

 

Ich lasse die Türklinke los und zucke mit den Schultern. „Ich habe alles gesagt.“

 

„Aber wir nicht“, erwidert Joshie und drapiert ihre Drumsticks auf der Snare. „Wir haben dir zugehört, du solltest so fair sein, uns jetzt auch zuzuhören.“

 

Shit, ich weiß nicht, ob ich das packe. Reicht das Schweigen eben nicht als Urteil? Wollen sie jetzt wirklich noch einmal auf mich einprügeln? Allerdings kann ich schwer gegen Joshies Forderung argumentieren, also bleibe ich stehen und warte auf den Sturm.

 

Er beginnt erschreckend leise, was viel schlimmer ist, als wenn sie mich anbrüllen würden.

 

„Du wusstest genau, worauf wir hingearbeitet haben“, sagt Kristina hinter dem Vorhang ihres langen Haars, das ihr ins Gesicht fällt. „Es lief so gut für uns nach den Aufnahmen, dem Video und den vielen Klicks. Und mit einem Konzert hast du alles kaputt gemacht.“

 

„Du hast uns mit dem Scheiß, den du verzapft hast, allein gelassen, und so getan, als gäbe es uns gar nicht. Von einem Freund hätte ich echt etwas anderes erwartet“, fügt Joshie hinzu. Auch sie brüllt mich nicht an, das hat sie nicht nötig. Leise treffen ihre Worte viel tiefer ihr Ziel. Und obwohl ich schon jetzt am liebsten im Erdboden versinken würde, schaue ich noch zu Ben. Wird er mich zusammenstauchen, wie schon einmal in der Bandprobe?

 

Er zuckt mit den Schultern. „Wenn man mit einer Band erfolgreich sein will, muss man sich vertrauen können. Ich weiß nicht, ob ich das noch kann“, sagt er.

 

Bämm! Das saß. Doch während mein letztes bisschen Stolz endgültig in sich zusammenbricht, durchzuckt mich ein Gedanke. Vertrauen! Einen Versuch ist es wert.

 

Ich deute auf Bens Gitarre, die im aufgeklappten Koffer neben ihm liegt. „Darf ich?“

 

Irritiert sieht er mich an.

 

„Ich würde euch gern noch etwas vorspielen. Wenn’s euch nicht überzeugt, könnt ihr mich endgültig rausschmeißen.“

 

Die anderen wechseln kurze Blicke, dann greift Ben seufzend nach seiner Gitarre und reicht sie mir. Meine Finger zittern wie verrückt, aber schließlich gelingt es mir, den ersten Bund zu umschließen und die Fingerkuppen auf die Saiten zu drücken, und ich fange an zu spielen. Ich denke an Finn, an Judith, an meine Mutter, an die Band, an alle, für die ich dieses Lied geschrieben habe. Die Töne erschaffen sie vor meinen geschlossenen Augen, und die Bilder lächeln mir zu, als ich schließlich zum letzten Mal den Refrain anstimme.

 

I know I’m not easy

I might even be a lost cause  

You know, I’ve always been afraid

Of them, of you and me, of us

Can you still gently take my hand

And teach me how to trust?

 

Ich halte mich an den letzten Akkorden fest, warte, bis ich die Töne wirklich nicht mehr hören kann. Dann erst öffne ich meine Augen und gebe Ben die Gitarre zurück. Doch er nimmt sie nicht. Seine zuvor angespannten Gesichtszüge zucken, es fällt ihm sichtlich schwer, die harte Mimik aufrecht zu erhalten. Johnny sieht mich wie vom Donner gerührt an und Kristina und Joshie wechseln Blicke, die ihnen wohl viel sagen, mir jedoch nichts.

 

Ich stehe auf, lege die Gitarre behutsam in den Koffer und streiche über das glänzende Holz.

 

„Freddy, der Song ist der Hammer.“ Ich zucke zusammen, als Johnnys Stimme das Schweigen bricht.

 

Kristina wischt sich mit der Hand über die Augen. „Verdammt, ich hatte gedacht, ich wäre vorbereitet, aber …“ Ihre Stimme zittert.

 

„Vorbereitet?“

 

„Wir waren dabei, als du Judith den Song geschickt hast“, erklärt Joshie.

 

Eine Armee Schmetterlinge flattert in meinem Bauch auf. Ob Judith bei den Mädels ein gutes Wort für mich eingelegt hat? Den anderen hat der Song gefallen, aber hat es etwas zu bedeuten?

 

„Well, for my part, I’m willing to teach you how to trust”, sagt Joshie und schickt ein Lächeln über die Toms.

 

„Ich auch“, sagt Kris.

 

Johnny hebt nur die Hände, als ob für ihn sowieso nie etwas anderes zur Diskussion gestanden hätte.

 

„Danke.“ Ich sehe wieder zu Ben, dessen Kiefermuskeln angestrengt malen. Er ist stur, war er schon immer, es ist seine beste und schlimmste Eigenschaft. „Du musst nicht ja sagen, das ist okay.“

 

Er nickt. „Das, was ich eben gesagt habe, war ernst gemeint. Ich weiß nicht, ob ich dir wieder vertrauen kann.“

 

Okay, das war’s. Ich habe ihn gebeten, ehrlich zu sein, und seine ehrliche Meinung habe ich bekommen. Sie ist hart, aber ich habe es auch nicht anders verdient. Ich wende mich um, doch Ben hält mich am Arm fest.

 

„Vielleicht können wir es zusammen lernen. Prove me wrong.“ Er streckt mir die offene Hand hin und lächelt, wenn auch etwas gequält.

 

Einen Moment lang starre ich Ben an, dann schlage ich ein.

 

vorheriges Kapitel                                                                                nächstes Kapitel

Kommentar schreiben

Kommentare: 0