Kapitel 19 - Hinter den Kulissen

Kristina

„Run, run, run. Run until you fly.”

Meine Wangenmuskulatur spannt sich, während ich den Refrain immer wieder in das Mikro vor mir singe. Durch die Studioarbeit in den letzten Wochen haben wir Freddys Song gefühlt ewig nicht mehr gespielt und ich habe fast vergessen, wie viel Spaß es macht, auch wenn gerade kein Publikum hier ist, das mitfeiert. 

Der Beat der Basedrum fährt mir in den Magen, versetzt meinen Körper in Schwingung.

 

Locker lasse ich meine rechte Hand über die Tasten gleiten, spiele immer den gleichen Lauf, und lasse vor meinen geschlossenen Augen Bilder aufsteigen, von tanzenden und klatschenden Menschen, Scheinwerfern, die über die Menge kreisen. Ich höre auf zu singen, spiele nur weiter die Töne rauf und runter, damit Freddy unsere Band vorstellen kann. Da, da, da, rauf und runter, da, da-da, da-da. Wieso sagt er nichts? Na gut, dann halt noch eine Runde. Rauf und runter, da, da-da, da-da. Von Freddy kommt immer noch nichts. Ich blinzle, die Bilder vor meinem inneren Auge lösen sich in der Realität des Proberaums auf.

 

Im gleichen Moment stößt Ben einen Seufzer aus und hört auf zu spielen. „Und das wäre Ihr Einsatz gewesen.“

 

Freddy sieht uns verwundert an, als wir alle die Hände von unseren Instrumenten nehmen. „Was ist los?“

 

„Was los ist?“ Ben lacht beinahe hysterisch auf. „Wir spielen hier den Loop nicht nur zum Spaß. Das ist deine Gelegenheit, um unsere Band vorzustellen.“

 

Freddy rutscht mit der linken Hand den Gitarrenhals hinunter, mit der anderen fährt er sich durchs Haar, den Kopf gesenkt. „Verdammt, stimmt. Sorry, ich hab gepennt.“

 

„Offensichtlich“, murmelt Ben, für meine Begriffe etwas zu genervt. Natürlich ist es ärgerlich, wenn Freddy nicht konzentriert bei der Sache ist, aber es ist nicht so, als würde gerade nichts laufen, oder als hätten wir Zeitdruck.

 

„Okay, einfach noch mal“, schlage ich vor, um einen versöhnlichen Tonfall bemüht.

 

Freddy nickt. „Sofort“, sagt er, bückt sich, und greift nach der Glasflasche zu seinen Füßen. Es ist schon die zweite Flasche Mate an diesem Vormittag, und auch die ist nur noch halb voll. Freddy trinkt ein paar große Schlucke, richtet sich wieder auf und sieht zu Joshie rüber, um ihr das Zeichen zum Anfang zu geben. Obwohl ich dabei nur einen kurzen Blick auf ihn erhasche, ist nicht zu übersehen, wie müde er ist. Die Lider halb geschlossen, unter den Augen liegen dunkle Ringe und auch seine Lippen ziert nicht das entspannte Lächeln, wie sonst, wenn wir Musik machen und Freddy ganz in seinem Element ist. Viel geschlafen habe ich in den letzten Nächten trotz Piets Anweisung zwar auch nicht, aber so müde wie Freddy aussieht, fühle ich mich nicht.

 

Joshie gibt den Takt vor, doch noch während Freddy den ersten Akkord anschlägt, wird mir klar, dass auch dieser zweite Versuch zum Scheitern verurteilt ist. Freddy hängt im Tempo ein wenig hinter Joshie her, und ich will schon erneut abbrechen, da fängt er sich wieder. Erste Strophe und Refrain bringen er und Ben gut hinter sich, auch die zweite Strophe klappt, im zweiten Refrain singt er jedoch statt der zweiten Stimme die erste mit und in der Bridge vertauscht er den Text der ersten und dritten Zeile. Kein Drama, es klingt immer noch in Ordnung, aber halt nicht so, wie es soll. Trotzdem spiele ich weiter. Singe das Run, run, run. Run until you fly. Loop rauf und runter. Meine rechte Hand arbeitet von allein.

 

„An dieser Stelle muss ich euch jetzt einfach fragen, seid ihr gut drauf?“

 

Freddys Ansage kommt diesmal präzise, wir spielen einen Takt, währenddessen bei den Konzerten das Publikum idealerweise begeistert jubeln wird.

 

„Nice, wir sind auch gut drauf.“ Sagt er, aber der Klang seiner Stimme verheißt eher das Gegenteil. „Ich weiß, ich kenne euch gut, aber … Shit.“

 

Erneut brechen wir ab. Wenn Freddy so gut drauf wäre, wie er vorhin behauptet hat, hätte er jetzt über seinen Versprecher gelacht und einfach weiter im Text gemacht. Aber er ist nicht gut drauf. Das ist jetzt nur zu deutlich. Er schüttelt den Kopf, fährt sich mit der Hand übers Haar und umklammert für einen Moment den Knoten in seinem Nacken.

„Sorry, können wir eine kurze Pause machen?“, fragt er leise und legt bereits seine Gitarre ab, ehe jemand von uns antwortet. Er bückt sich wieder nach der Mate und leert die Flasche in einem Zug.

 

Ben öffnet den Mund, verkneift sich seinen vermutlich nicht sehr netten Kommentar allerdings, als ich ihm einen warnenden Blick zuwerfe. Vorwürfe bringen uns jetzt nicht weiter.

 

„Was ist los?“ Johnny stellt seinen Bass ebenfalls ab, dreht sein Basecap mit dem Schirm nach hinten und sieht unseren Frontman durchdringend an.

 

Freddy lässt sich auf eine der Monitorboxen sinken und lässt Kopf und Schultern hängen. Für einen Moment fürchte ich, dass er schweigt, so wie früher, um dann einfach wieder aufzustehen und dort weiterzumachen, wo er aufgehört hat. Die Art, wie er auf den Boden sieht und die Hände miteinander verschränkt, wirkt abweisend, und sagt mir doch mehr, als er vermutlich ahnt. Aber ich werde ihn nicht drängen. Stattdessen angle ich nach meiner Thermoskanne und trinke einen Schluck Tee.

 

„War ne Scheißnacht.“

 

Freddys Stimme klingt rau durch die Stille, die sich im Proberaum ausgebreitet hat. Ich verkneife mir ein Seufzen. Ich habe es befürchtet.

 

„Deine Mutter?“, fragt Johnny.

 

Freddy nickt. „Sie hatte mal wieder eine Schmerzattacke.“

 

„Fuck.“ Besser als mit Joshies Kommentar lässt sich die Situation wohl nicht beschreiben. Seit Freddy uns vor zwei Jahren von der chronischen Krankheit seiner Mutter erzählt hat, sind wir aufmerksam genug, hin und wieder nachzufragen, wie es bei ihm zuhause läuft. Nach all dem Mist, den seine Familie in den letzten Jahren durchstehen musste, hat es mich gefreut, dass es in den letzten Monaten so gut zu laufen schien. Vielleicht nur die trügerische Ruhe vor einem neuen Sturm?

 

„Ich hab die ganze Nacht kein Auge zugemacht.“

 

„Shit. Willst du eine halbe Stunde Speednapping?“, fragt Ben in einem einfühlsamen Ton, den ich gar nicht von ihm gewohnt bin.

 

Freddy schüttelt jedoch den Kopf. „Wenn ich mich jetzt hinlege, schlafe ich länger als eine halbe Stunde. Aber ein bisschen frische Luft wäre gut.“

 

„Klar.“ Wir nicken einvernehmlich.  

 

Ben macht sich etwas umständlich an seiner Gitarre zu schaffen, ein deutliches Zeichen dafür, dass er nicht mit nach draußen kommen wird. Das Zugeständnis einer Pause war wohl das höchste der Gefühle, Empathie ist nicht seine größte Stärke.

 

Dafür erhebt Joshie sich von ihrem Hocker und geht auf die Tür zu. Ich schnappe mir meine Thermoskanne und die Tafel Schokolade, die ich neben mir drapiert habe, und folge ihr. Auch Johnny macht sich mit uns auf den Weg, kurz bevor wir die Tür erreichen, bleibt er mit Blick auf sein Handy jedoch stehen.

 

„Oh, eine Nachricht von Torben. Da muss ich zurückrufen, aber ich komme gleich nach, okay?“ Er legt Freddy eine Hand auf die Schulter und sieht ihn entschuldigend an. Freddy nickt nur müde.

 

Draußen lässt er sich gleich auf die Bank vor der Fassade fallen, legt den Kopf in den Nacken und hält das Gesicht in die Frühlingssonne.

 

Während Joshie sich im Schneidersitz auf dem Boden niederlässt, setze ich mich neben Freddy und breche einen Riegel von der Schokolade ab. Joshie verzieht das Gesicht zu einer angeekelten Grimasse, aber in mir breiten sich augenblicklich Glücksgefühle aus, als das erste Stückchen auf meiner Zunge liegt und sein bitter-herbes Aroma verströmt.

 

„Magst du auch ein Stück?“

 

Freddy schiebt sich gleich zwei Stücke in den Mund und blinzelt gedankenverloren gegen das Sonnenlicht, während er kaut. Banause, schießt es mir durch den Kopf. Schokolade darf man doch nicht kauen! Aber vermutlich liegen Freddys Prioritäten nicht auf dem Genuss.

 

„Glaubst du, du kannst Freitag mit nach Mainz zur Fernsehaufzeichnung?“, fragt Joshie zögerlich.

 

Ich zucke unwillkürlich zusammen und zerbeiße nun selbst ein Stück Schokolade, dass es kracht. Wir haben keinen Plan B, was wir tun, wenn jemand von uns ausfällt. Sicher, Joshie, Johnny oder ich wären irgendwie ersetzbar, auch wenn es anders wäre. Aber Ben und vor allem Freddy als unser Frontsänger … Entweder er singt oder wir brauchen gar nicht erst anzutreten. Ein Schauer läuft mir über den Rücken, als ich an das Konzert vor zwei Jahren denke, wo Freddy uns hat hängen lassen. Er war zwar anwesend, aber so schlecht drauf, dass er grottig performt hat. Damals wussten wir noch nicht, wie es bei ihm zuhause tatsächlich aussieht. Jetzt wissen wir zwar Bescheid, aber an der Situation hat sich nicht viel geändert. Freddys Mutter ist nach wie vor nicht gesund.

 

Freddy seufzt. „Es wird schon irgendwie gehen. Judith hat sowieso versprochen, sich das Wochenende freizunehmen und Finn …“ Er bricht ab, schüttelt den Kopf. „Es fühlt sich einfach kacke an, versteht ihr? Judith sollte sich nicht um meine Mutter kümmern müssen, und Finn lernt wie verrückt, damit er im Herbst auch wirklich den Anschluss auf dem Gymnasium packt. Und ich steh auf einer Bühne, lache und lass mich feiern.“

 

„Du gehst arbeiten, Freddy. Der Spaß ist nur ein schöner Nebeneffekt“, sagt Joshie.

 

Unsere Drummerin hat recht, und sie meint es gut, das weiß ich. Aber in diesem Moment hilft es Freddy nicht. Er presst die Faust gegen die Stirn und seufzt erneut.

 

„Es sind ja nicht nur die Schmerzattacken. In letzter Zeit ist sie so hoffnungslos und gleichgültig. Bis vor kurzem hat sie noch täglich die Jobanzeigen durchgesehen, aber es gibt nichts für sie.“

 

Ich kneife die Lippen zusammen, als ein Zittern Freddys Körper erschüttert und seine Verzweiflung somit auch für mich deutlich spürbar wird.

 

„Manchmal schafft sie es den ganzen Tag nicht aufzustehen, und wenn sie doch aus dem Bett kommt, starrt sie nur zur Balkontür. Ich habe richtig Schiss, sie alleinzulassen.“

 

Eine eiskalte Faust schließt sich um mein Herz und zieht gleichzeitig an meiner Kehle, bis sie so eng ist, dass ich kaum noch Luft bekomme. Ich bin mir nicht sicher, ob ich meinen Arm um Freddys Schulter lege, um ihn zu trösten, oder weil ich mich selbst an etwas, jemandem, festhalten muss, aber in diesem Moment fühlt es sich richtig an. Freddy scheint es ähnlich zu gehen, er lehnt seinen Kopf auf meine Schulter. Ich kann ihn so gut verstehen, er hat keine Ahnung, wie sehr. Außer Joshie weiß es niemand, aber das spielt keine Rolle. Ich streiche Freddy sanft über den Rücken.

 

„Hat deine Mutter psychologische Hilfe?“

 

„Aktuell nicht. Sie war vor Jahren schon mal in Therapie, das hat ihr auch geholfen. Es ging danach lange besser. Aber jetzt bin ich mir manchmal nicht sicher, ob sie mir überhaupt zuhört.“

 

Ich schlucke energisch die Tränen hinunter, die in meiner Kehle brennen

 

und unbarmherzig nach oben drücken, aber ich kann sie jetzt nicht brauchen. Sie helfen kein Stück. Weder mir, noch Freddy.

 

„Das ist beschissen“, sage ich leise, weil es so ist. Ich habe nicht einmal einen guten Rat für ihn. „Wir sind da, Freddy, das weißt du, oder? Egal, was ist. Wir sind alle da.“

 

Sein Kopf bewegt sich auf meiner Schulter dreimal vor und zurück.

 

„Und wenn es dir lieber ist, dass wir einen Termin absagen, dann ist das okay“, fügt Joshie hinzu. „So wichtig ist keine Fernsehshow und kein Konzert.“

 

„Danke“, murmelt Freddy, so leise, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich es mir vielleicht nur eingebildet habe. Langsam hebt er den Kopf und richtet sich wieder auf. „Vielleicht sollten wir langsam wieder reingehen, bevor Ben noch die Krise bekommt.“

 

„Ach der, der kann auch noch drei Minuten länger Kommentare bei Insta beantworten.“ Johnny ist endlich fertig mit seinem Telefonat und zieht Zigaretten und Feuerzeug aus seiner Hosentasche. „Ist alles klar?“, fragt er, den Blick ausschließlich auf Freddy gerichtet.

Joshie und ich verziehen uns wieder nach drinnen. Auch wenn Freddy sich uns gegenüber schon geöffnet hat, tut es ihm bestimmt gut, wenn er mit Johnny noch einmal reden kann. Oder schweigen. Keine Ahnung, was machen Jungs in so einer Situation?

 

Als ich routiniert auf mein Handy schaue, wird diese Frage unwichtig. Mein Puls schießt in die Höhe, und ich muss für einen Moment die Augen schließen, um nicht auszurasten.

 

Hi Kristina, der 31. Mai geht klar. Ich kann schon früher ins Hotel einchecken und Scott veranlasst, dass ich ein Klavier in meiner Suite habe.

 

Jeder andere Mensch würde sich freuen, oder durchdrehen, weil es so abgefahren ist, dass Noah eine Suite im Hotel bewohnt, statt ein normales Zimmer. Aber in meinem Kopf ist nur Platz für Hotel. Scheiße. Das geht nicht. Wie soll ich Noah in einem Hotel unterrichten? Eiskalt kriecht die Angst meinen Nacken herauf. Ich presse die Kiefer gegeneinander und zwinge mich, tief ein und auszuatmen.

 

Ich muss Noah schreiben, dass Hotels und ich nicht zusammenpassen. Aber kann ich das bringen? Er muss mich für bescheuert halten. Vielleicht bin ich das ja auch. Es grenzt schon an ein Wunder, dass Piet sich darauf eingelassen hat, für mich immer ein AirBnB zu buchen, ohne weitere Nachfragen zu stellen. Aber Noah würde fragen, da bin ich mir sicher. Und ich will ihm diese Frage nicht beantworten. Noch nicht. Vielleicht irgendwann einmal. Nur bis dahin kann ich ihm keinen guten Grund liefern, warum ich ihn nicht im Hotel treffen will … kann.

 

„Kris? Alles okay?“

 

Ruckartig reiße ich den Blick vom Bildschirm meines Handys los und starre Joshie an, deren Miene sich augenblicklich verfinstert.

 

„Okay, ich glaube, meine Frage hat sich erübrigt“, murmelt Joshie. „Was zur Hölle ist los?“

 

Mein Puls dröhnt noch immer laut in meinen Ohren und ich klammere meine Hand fester um das Smartphone als notwendig wäre, um es nicht fallen zu lassen. Bislang weiß niemand aus der Band von meiner Absprache mit Noah, Piet fand es sinnvoller, das erst einmal diskret zu behandeln, und mir war es ganz recht so. Allerdings, wenn ich in anderthalb Wochen von Bamberg nach Nürnberg fahre, werden die anderen wissen wollen, warum. Natürlich könnte ich behaupten, einen Verwandten oder so zu treffen, aber ich will meine Freunde eigentlich nicht anlügen, und Joshie kennt mich schon viel zu lange, als dass sie nicht ohnehin wittern würde, dass etwas im Busch ist.

 

Okay, mir scheint nichts anderes übrig zu bleiben. Trotzdem sehe ich mich nach Ben um, ob er noch beschäftigt ist, aber der hält den Blick konzentriert aufs Handy gerichtet.

 

„Ich gebe Noah Hammond Klavierunterricht“, flüstere ich Joshie zu.

 

Sie sieht mich einen Sekundenbruchteil verständnislos an, dann werden ihre Augen groß und rund. „Wait, wait, wait. Du gibst Noah Hammond Klavierstunden? Five2Seven-Noah-Hammond?“

 

Jetzt ist es raus. Ich nicke.

 

„Holy Shit. Wieso du? Also klar, du bist die Beste, aber woher weiß er von dir?“

 

Ich beschränke mich bei meinem Bericht über die Umstände unseres Kennenlernens auf das Wesentliche. Von dem abgeschiedenen Lagerraum und dem Kuss muss Joshie nichts wissen.

 

„Nach unserem Konzert in Bamberg fahre ich nach Nürnberg, um ihn für die zweite Stunde zu treffen“, schließe ich.

 

„Moment, zweite Stunde? Ihr habt euch schon einmal getroffen?“ Joshies dunkle Augen funkeln vor Empörung darüber, dass ich erst jetzt damit rausrücke, und ihr Ausdruck wird noch finsterer, als ich von Noahs Besuch im Studio erzähle.

 

„Unglaublich. Aber na ja, so eine random Information kann man ja schonmal vergessen zu erzählen“, sagt sie schmollend, wird dann aber wieder ernst. Sie kann mir einfach nicht lang böse sein. „Wo ist dann das Problem?“

 

Sofort setzt mein Herz wieder zum Galopp an. Ich entsperre das Handy und zeige Joshie Noahs Nachricht.

 

„Fancy, Boybands übernachten also in Suiten?“

 

Da hätten wir den Beweis, dass ich verrückt bin, weil mir dieser Aspekt an Noahs Nachricht völlig egal ist.

 

„Eine Suite im Hotel“, betone ich. „Hotel, verstehst du? Ich kann da nicht hin. Was, wenn ich wieder eine Panikattacke bekomme?“

 

Joshie legt das Handy auf dem Keyboard ab und greift nach meinen Händen. Jede Empörung ist aus ihrem Blick gewichen, jetzt spiegeln sich Sorge und Trauer darin.

„Kris“, sagt sie sanft. „Wie soll das denn weitergehen mit deiner Angst?“

 

Vor meinen Augen beginnt es zu flimmern. Joshie soll mich das nicht fragen. Ich will weg, will diese Frage nicht beantworten. Aber Joshies Berührung tut gut, ihre warmen Hände lindern die Kälte in meinem Körper.

 

„Das wird schon. Mir geht es gut.“

 

Meine Worte klingen mechanisch, doch es sind die einzigen, die ich zustande bringe, und ich will, dass sie wahr sind.

 

„Tut mir leid, aber ich muss dir hier widersprechen. Es geht dir nicht gut, ich sehe es dir an. Und es macht mich wahnsinnig.“

 

Das Brennen in meiner Kehle meldet sich unter Joshies verzweifeltem Blick zurück. Ich will nicht, dass sie leidet. Aber sie hat keine Ahnung, wie es für mich ist. Egal, wie es riecht, wie es eingerichtet ist, früher oder später kommt die Erinnerung und damit der Schmerz. Schließlich die Angst.

 

„Du hast Freddy die Frage eben gestellt,“ sagt Joshie leise, ihre Hände immer noch um meine. „Wie ist es mit dir, hast du psychologische Unterstützung?“

 

Als ob sie das nicht wüsste. Freddys Mutter hat vielleicht eine Chance, aber die Vergangenheit lässt sich nicht ändern. Was ich erlebt habe, wird für immer bleiben.

 

„Ich würde dich gern wieder lachen sehen, so wie früher. Vielleicht klingt das egoistisch, aber ich wünsche es mir für dich.“

 

Die Tür zum Proberaum fällt ins Schloss und Johnny und Freddy kommen zurück und bieten mir die Gelegenheit, dieses Gespräch zu beenden. Ich ziehe meine Hände aus Joshies Griff, ertrage es, dass sie sich augenblicklich kalt anfühlen, und zwinge mich zu einem Lächeln.

 

„Ich bin okay.“

 

Joshie seufzt und sieht mich skeptisch an, dreht sich dann aber um und geht zu ihren Drums. Ich wende mich dem Klavier zu und suche Beruhigung in den vertrauten Tasten. Für den Moment habe ich nicht gelogen, meine Panik habe ich erfolgreich niedergekämpft, ich bin sozusagen okay. Vielleicht kann ich mich eines Tages meiner Angst stellen. Aber jetzt brauch ich noch Zeit.

 

Und außerdem müssen wir endlich weiterproben.   

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